Biografischer Kurzüberblick

Von Beatrix Ross

Über seine Kunst wurden schon Bücher geschrieben, Doktorarbeiten, Vorträge, Abhandlungen. Oft schon wurde versucht, zu ergründen, was ihn ausmacht.
Ist es seine Schauspielkunst? Ja.
Ist es sein unbedingter Wille zur Perfektion? Ja auch.
Ist es seine unerschöpfliche Kreativität? Auch das.
Aber es kommt noch etwas dazu, was man nicht greifen kann, schon gar nicht mit Worten. Es hat etwas mit Empfindsamkeit zu tun und mit Wahrhaftigkeit.
Etwas, das man nur erfühlen kann, wenn man seine Shows oder Theateraufführungen miterlebt. Georg Preusse nimmt sein Publikum mit auf eine emotionale Reise. Und die Zuschauer folgen ihm, weil sie ihm glauben, weil er ehrlich ist – wahrhaftig eben.

Seit er als MARY auf der Bühne steht, und das sind schon fast vier Jahrzehnte, ließ er nie einen Zweifel daran, dass Mary kein Alter Ego ist, sondern eine perfekte Illusion. Und so steht am Ende einer jeden Show das mittlerweile schon legendäre Abschminken: die opulente Robe wird abgelegt, die Perücke, die falschen Wimpern und künstlichen Fingernägel auch. Und schließlich ist es Georg, der sein Publikum in die Nacht entlässt. Am Ende fällt die Hülle und die Wahrheit kommt zum Vorschein. Wer diesen Moment einmal erlebt hat, vergisst ihn nicht mehr.

Ein Schlusspunkt, der sich ins Gedächtnis brennt, ist Georg Preusse auch als Conférencier in dem Musical „Cabaret“ gelungen – so intensiv und verstörend, dass der Zuschauerraum nach jeder Vorstellung zunächst mucksmäuschenstill war – bevor ein Begeisterungssturm losbrach. Für diese schauspielerische Leistung wurde er mit dem Prix Bernhard und dem Goldenen Vorhang ausgezeichnet. Und: „Sein“ Conférencier war Mittelpunkt einer Konferenz für Theaterschaffende aus 12 Ländern, die im Sommer 2007 im britischen Norwich stattfand. Es war eine Professorin des Lee Strasberg Instituts New York, die auf den Punkt brachte, was so schwer in Worte zu fassen ist: „He has the words in his body.“ Er hat die Worte in seinem Körper. Georg Preusse spielt seine Rollen nicht, er verkörpert, er lebt sie regelrecht. Als er 2002 die Hauptrolle des Beckmann in Wolfgang Borcherts Antikriegs-Stück „Draußen vor der Tür“ übernahm, schrieb ein Kritiker: „Zwei Stunden lebt Georg Preusse mit einer Inbrunst den Beckmann, dass man nicht mehr von ‚spielen‘ sprechen mag.“ Er taucht ein in seine Figuren und wer ihm dabei zusieht, dem bleibt manchmal die Luft weg.
Friedrich Dürrenmatt war der erste, der den Theaterschauspieler Georg Preusse entdeckte. Der Schweizer Schriftsteller und Dramatiker bereitete die Inszenierung seiner Komödie „Achterloo IV“ vor und besetzte Georg Preusse in der Rolle des Robespierre. Damit legte er vor über 25 Jahren den ersten Trittstein zur Theaterkarriere eines Künstlers, der da aber schon ein strahlender Stern am Showhimmel war – in der „Rolle seines Lebens“: MARY.

Dabei war es wahrlich nicht nur eine Welle der Begeisterung, die Georg Preusse entgegenschlug, als er 1975 seine ersten professionellen Auftritte unter dem Künstlernamen Mary Morgan hatte. Die Auftrittsbedingungen waren nicht gut, das Publikum oft überschaubar, die Widerstände umso größer. Doch eine wachsende Fangemeinde ließ den Widerstand dahinschmelzen und als 1978 der erste Auftritt des neu gegründeten Travestieduos Mary Morgan & Gordy Blanche in der Münchner Lach- und Schiessgesellschaft stattfand, gab es kein Halten mehr. Georg Preusse und sein Bühnenpartner Reiner Kohler (†1995) eroberten als Mary & Gordy innerhalb kurzer Zeit ein Millionenpublikum. Schon zwei Jahre später hatten sie ihre erste eigene Fernsehshow, die in 17 Ländern ausgestrahlt wurde. Es folgten große Konzert-Tourneen, unzählige TV- und Live-Auftritte und viele Auszeichnungen, u.a. die Goldene Kamera und die Goldene Europa. Nach einer 12monatigen Europatournee fand am Silvesterabend 1987 der letzte gemeinsame Auftritt von Mary & Gordy statt.
Als Georg Preusse 1989 erstmals alleine als MARY auftrat, konnte er sich seiner Sache keineswegs sicher sein. Würden die Fans MARY solo akzeptieren? Würden sie den Weg mitgehen wollen, den er von nun an beschritt? Die Fans wollten – schon die erste MARY-Solo-Tournee im Herbst 1989 wird zur erfolgreichsten Tournee des Jahres. Geändert hat sich daran bis heute nichts: Jede neue Show wird vom Publikum bejubelt, die Theater sind ausverkauft, das Fernsehen dreht mit. Allein die MARY-Christmas-Show wird seit 2007 jedes Jahr und immer wieder ausgestrahlt. Ein Dauerbrenner.
1999 bekam Georg Preusse den BZ-Kulturpreis der Stadt Berlin verliehen. In der Begründung der Jury hieß es: Mit Charme und Eleganz hat Georg Preusse das Travestiegenre aus der Subkultur befreit und zum populären Entertainment gemacht… Menschen ansprechen, Gefühle zulassen, Ausgegrenzte umarmen, eine Lanze für Alte, Kinder und Kranke brechen. Lustig sein, Politiker aufs Korn nehmen. Kampf gegen Rechtsradikalismus, Dumpfheit und Krieg. Das ist Mary. Ein starkes Stück Kultur.